1925-1940

In den neubelgischen Gebieten war die Zeit zwischen 1925 und 1940 von politischen Querelen geprägt, die durch pro-deutsche und pro-belgische Propaganda angeheizt wurden. Die öffentliche Meinung spaltete sich im Grund an der Frage des rechtmäßigen Verlaufs der Volksabstimmung: Während die pro-deutsche Seite eine Wiederholung der Volksbefragung forderte, bemühte sich die pro-belgische Seite um die Beibehaltung der Annexion und die Eingliederung der Bevölkerung in den neuen Staat, wobei man die deutsche Sprache als Amtssprache bei lokalen Behörden und in der Schule gesetzlich festschrieb. Bei diesem Unterfangen wurden der Bevölkerung allerdings einige Enttäuschungen zugemutet, die der Gegenseite Auftrieb verschafften und die Polarisierung innerhalb der Bevölkerung verschärften.

Eine erste Enttäuschung erfolgte nach den Parlamentswahlen von 1925, als der deutschsprachige Kandidat der stärksten Partei, J.-M. Jenniges, seinen als sicher geglaubten Einzug ins Parlament wegen des komplizierten belgischen Listenwahlrechts knapp verfehlte. Der nachträgliche Versuch der Katholischen Partei, die Deutschsprachigen durch die Entsendung des Eynattener Bürgermeisters Esser in den Senat zu entschädigen, schlug fehl. Auch die beharrliche Weigerung der Partei, die Volksbefragung zu wiederholen, trug zur Spaltung der Wählerschaft bei.

Als verschärfend wirkten sich auch die 1926 bekannt gewordenen Geheimverhandlungen zwischen Belgien und Deutschland zur Rückgabe der neubelgischen Gebiete gegen Zahlung von 200 Millionen Goldmark aus. Hintergrund dieser Verhandlungen waren inflationäre Entwicklungen in Belgien und nur das entschiedene „Nein“ des französischen Premierministers Poincaré, der auf die Einhaltung des Versailler Vertrages und der Locarno-Verträge bestand, ließ das Projekt scheitern. Die Befürworter einer Revision der Volksbefragung gewannen aber wieder an Auftrieb.

Ein weiteres Ereignis, die Eupener Bürgermeisterfrage, führte 1929 schließlich zur Aufspaltung der christlichen Wählerschaft. Léon Trouet, der Kandidat der Katholischen Partei, war 1926 zum Eupener Bürgermeister gewählt worden. Dieser wurde jedoch wegen vermeintlich fehlender probelgischer Einstellung vom Innenminister abgelehnt. Stattdessen wurde der Lontzener Bürgermeister Hugo Zimmermann 1928 zum Eupener Amtsbürgermeister ernannt.

Die nach diesen Enttäuschungen im Januar 1929 gegründete, regional auftretende revisionistische „Christliche Volkspartei“ erzielte bei den Kammerwahlen die absolute Mehrheit, während die Katholische Partei nur mehr knapp 20% erzielte. Die revisionistischen Kräfte (CVP und Arbeiterpartei) erzielten insgesamt 75% der Stimmen. Nachdem die Sozialisten nach Hitlers Machtergreifung 1933 ihre Forderung zur Revision der Volksbefragung aufgaben und die CVP sich nach der Ausweisung ihrer Parteispitzen 1936 auflöste und durch die unter NS-Einfluss stehende „Heimattreue Front“ (HF) ersetzt wurde, sank der Anteil der Revisionisten bei den folgenden Wahlen auf rund 45%.

Mehrfach griff der Lütticher Bischof per Hirtenbrief in die Wahlkämpfe der Zwischenkriegszeit ein, indem er verbot für die CVP zu stimmen bzw. den Nationalismus und die Rassenlehre der Nazis scharf verurteilte. Die Katholische Union schaffte es 1939 indes erstmals, mit dem St.Vither Bürgermeister Michel Freres einen Kandidaten aus den neubelgischen Gebieten in die Kammer zu entsenden.

Die Weltwirtschaftskrise mit Inflation und schwindender Kaufkraft traf die landwirtschaftlich ausgerichteten Gebiete zwar weniger hart, doch der Rückgang des Eisenbahnverkehrs zu Beginn der 1930er Jahre brachte auch hierzulande wirtschaftliche Einbußen. Dennoch wurden in diesen Zeiten hierzulande zwei Talsperren gebaut, die Versorgung mit elektrischem Strom hielt Einzug und die schulische Bildung erfuhr mit der Einrichtung von „Höheren Schulen“ eine Aufwertung.

Hitler Arbeitsbeschaffungspolitik (Bau von Autobahnen, Bau des Westwalls) blieb in Ostbelgien nicht unbemerkt und machte Eindruck, während die Wirtschaftskrise innerbelgisch zu Arbeitslosigkeit, Streiks, verbesserten Sozialleistungen, Inflation, aufkeimendem Faschismus und häufigen Regierungskrisen führte.

Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 verschärfte sich der Druck der Propaganda in Eupen-Malmedy, die u.a. in der Gründung von Tarnorganisationen (Segelflieger, Saalschutz, Bogenschützen) deutlich wurde. Aber auch hiesige Tageszeitungen favorisierten das eine oder andere politische Lager und einige Wehrpflichtige entzogen sich der Dienstpflicht durch Desertion. Nach Hitlers ungebremster Annexionspolitik verschärfte sich die Kriegsgefahr gegen Ende des Jahrzehnts zunehmend. Auch im hiesigen Gebiet wurden die Grenzübergänge und Straßen nach Deutschland barrikadiert, antisemitische Äußerungen wurden deutlich und hiesige Soldaten wurden nach der Mobilmachung vom August 1939 innerhalb Belgiens kaserniert bzw. Hilfstruppen zugeteilt. Mit dem Beschuss eines polnischen Munitionslagers auf der Danziger Westerplatte am Morgen des 1. September 1939 durch ein deutsches Kriegsschiff begann der Zweite Weltkrieg, der in Eupen-Malmedy erst am 10. Mai 1940 mit dem Einmarsch deutscher Truppen deutlich wurde.