Zur Jahrhundertwende hatte das Königreich Belgien seinen Platz in der internationalen Wirtschaft gefunden und gefestigt. Eine blühende Industrie, die vor allem durch die kümmerlichen Löhne im Inland und durch eine reiche Kolonie in Afrika, den von König Leopold II. als privates Sklavenland geführten Kongo, gedeihen konnte, hatte Belgien zum industrialisiertesten Land der Welt werden lassen. Belgien galt als fünftstärkste Wirtschaftsmacht und belegte den vierten Platz der Exportnationen; der Antwerpener Hafen rangierte an zweiter Stelle der Welthäfen hinter New York.
Kautschuk aus dem Kongo und Kohle aus dem Inland, so könnte man verkürzt die Grundlagen dieses Wohlstands beschreiben, die ein jährliches Wirtschaftswachstum von über 3 % zustande brachten. Aber auch der Export bis nach China oder Lateinamerika von technischem Know-how zum Bau von Straßen- und Eisenbahnen, Häfen und Kohlebergwerken festigte den Standort. Nachdem Leopold II. aufgrund des zunehmenden Drucks aus dem Ausland dem belgischen Staat im Jahre 1908 seine private Kongokolonie überlassen hatte, begann dort die wirtschaftliche Ausbeutung der Bodenschätze, vor allem unter Federführung der auch schon in Belgien allmächtigen Société Générale.
Die belgische Industrie wurde von wenigen Holdinggesellschaften kontrolliert, die zum Ende des 19. Jahrhunderts im Schatten einiger Großbanken gewachsen waren und schließlich die Finanzwelt, die Wirtschaft und die Politik beherrschten. Der Wohlstand war somit sehr ungleich verteilt. Im Jahre 1913 verwalteten 10 Banken mehr als die Hälfte der belgischen Guthaben, wovon alleine fast 40 % im Besitz der Société Générale waren. Die restlichen Guthaben verteilten sich zu etwa je einem Prozent auf 56 Kleinbanken. Familienunternehmen waren somit gezwungen, mit Eigenkapital oder mit Krediten der Kleinbanken zu wirtschaften, da das Geld der Großbanken für ihr Unternehmen zu teuer war. Die großen Konsortien, wie Société Générale, Banque de Bruxelles, Cockerill, Empain oder Solvay, bildeten um 1910 kaum ein Prozent der belgischen Unternehmen, stellten aber fast die Hälfte aller Arbeitsplätze. Die rund 250.000 kleinen und mittleren Betriebe boten indes Arbeit für 800.000 Menschen.
Die belgischen Löhne lagen bis zu 50 % unter denen, die in Großbritannien gezahlt wurden; die Arbeitszeit lag indes um fast 20 % über der in England. Die Löhne lagen unterhalb der Lebenshaltungskosten.
Die Arbeiter waren bis zu 12 Stunden täglich (auch sonntags) im Einsatz, Frauen und Kinder einbegriffen. Arbeitersiedlungen entstanden in eigenen Stadtvierteln; die Mieten waren erschwinglich, doch der Wohnkomfort sehr bescheiden. Mit langsam steigenden Löhnen verbesserten sich die Kaufkraft und somit auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln.
Auf dem Lande konnten sich die Menschen zwar besser versorgen, doch blieb das Leben hier schwierig, da der Ertrag wenig rentabel war. Dennoch waren nur wenige Menschen nach Übersee ausgewandert; Binnenwanderung und Saisonarbeit waren indes weit verbreitet.
Die wirtschaftliche Entwicklung hatte in Europa zu einer Konkurrenzsituation geführt, in der die Kolonialmächte Frankreich und England ihren Einfluss durch die verstärkte Wirtschaftskraft Deutschlands beeinträchtigt sahen. In Belgien machte man sich indes keine Sorgen um einen drohenden Krieg. Seit der Unabhängigkeit 1830 hatte das Land im Frieden gelebt und sich wirtschaftlich ausgezeichnet entwickelt.
Militärisch war Belgien indes unterentwickelt; die Landesverteidigung war ein politisches Stiefkind geblieben und entsprechend schlecht war die Armee ausgerüstet. König Leopold II. hatte zwar oft auf einen Ausbau der Streitkräfte gedrängt, doch Katholiken und Sozialisten waren sich einig, dass die Jugendlichen nicht in Kasernen, sondern in Fabriken Beschäftigung finden sollten. Und auch die flämische Rechte war sich mit den anderen Parteien hier einig: „Niemand gedwongen soldaat!“, so ihr Motto. Erst im Mai 1913, unter der Regentschaft von König Albert I. (1909-1934), wurde der Militärdienst eingeführt, nachdem Leopold II. das entsprechende Gesetz bereits 1909 auf seinem Totenbett unterzeichnet hatte. Belgien war bis dahin das einzige Land Europas, in dem noch das Losverfahren zur Bestimmung der Wehrpflichtigen angewandt wurde.